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Behindertenverbände scheitern mit Klagen auf Erhaltung eines barrierefreien Zugangs zum Bahnsteig

Datum: 12.05.2005

Kurzbeschreibung: 


Der 5. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) hat mit Urteilen vom 14.04.2005 entschieden, dass sich aus § 2 Abs. 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO) keine Pflicht eines Eisenbahnunternehmens ergibt, Zugänge zu Bahnsteigen barrierefrei herzustellen oder einen barrierefreien Zugang zu erhalten. Die auf diese Vorschrift gestützten Feststellungsklagen von zwei Behindertenverbänden, mit denen diese die Plangenehmigung für den Umbau des Bahnhofs Oberkochen angegriffen haben, wurden abgewiesen.

Die Kläger, zwei gemäß § 13 Abs. 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) anerkannte Verbände für die Belange behinderter Menschen, begehrten die Feststellung, dass die vom Eisenbahn-Bundesamt (Beklagte) der DB Station & Service AG erteilte Plangenehmigung für den Aus- und Umbau des Bahnhofs Oberkochen gegen § 2 Abs. 3 EBO verstoße, weil das Vorhaben zu einer Verschlechterung für Behinderte führe. Bislang war der Mittelbahnsteig des Bahnhofs über einen schienengleichen Bahnübergang barrierefrei, unter Aufsicht des Bahnpersonals, zu erreichen. Im Zusammenhang mit dem Vorhaben der Bahn, die Strecke Aalen - Ulm zu verbessern und dem Ziel, einen vom elektronischen Stellwerk Heidenheim aus gesteuerten integralen Taktfahrplan anbieten zu können, ist geplant, die an dieser Strecke liegenden Bahnhöfe und Bahnsteige umzubauen. Für den Bahnhof Oberkochen ist vorgesehen, den Bahnsteig 1 (Hausbahnsteig) und den bislang ebenerdig erreichbaren Mittelbahnsteig zurückzubauen und durch einen 55 cm über der Schienenoberkante gelegenen Mittelbahnsteig mit Fußgängerunterführung und zwei Aufzugsschächten zu ersetzen. Die Aufzüge selbst sollen jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt eingebaut werden, wenn im Durchschnitt mehr als 1000 Reisende pro Tag die Station Oberkochen benutzen. Bis auf Weiteres werden in ihrer Fortbewegung eingeschränkte Bahnkunden auf den künftig barrierefrei gestalteten Bahnhof Aalen verwiesen. Die Beklagte ist der Auffassung, es bestehe keine gesetzliche Verpflichtung, Bahnsteige an jedem Bahnhof barrierefrei herzustellen; man sei aber in Zusammenarbeit mit den Behindertenverbänden bereit, Programme zu erarbeiten und in deren Umsetzung nach und nach die erwünschte Barrierefreiheit für Bahnanlagen zu schaffen.

Zur Begründung seiner Urteile führt der VGH aus, dass die Klagen zwar als so genannte Verbandsfeststellungsklagen zulässig seien. Ein entsprechendes Verbandsklagerecht habe der Bundesgesetzgeber durch das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen im Jahr 2002 eingeführt. Die Frage des ersatzlosen Wegfalls des barrierefreien Übergangs zum Mittelbahnsteig sei auch von allgemeiner Bedeutung, da sie sich regelmäßig beim Umbau von (kleineren) Bahnhöfen stelle, die künftig ohne Aufsichtspersonal von zentralen elektronischen Stellwerken aus betrieben würden. Die Klagen seien jedoch nicht begründet. Der Gesetzgeber habe die Verbandsfeststellungsklage ausdrücklich auf mögliche Verstöße gegen § 2 Abs. 3 EBO beschränkt. Ein solcher Verstoß liege nicht vor. Diese Vorschrift bezwecke zwar, die Belange Behinderter bei der Anwendung einzelner Vorschriften der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung zur Geltung zu bringen. Die in Bezug genommenen Vorschriften regelten aber nicht den Zugang zu Bahnsteigen. Dies bedeute allerdings nicht, dass die Belange Behinderter insoweit unberücksichtigt bleiben dürften. Trotz der Unvollkommenheit der gesetzlichen Regelung der Barrierefreiheit im Eisenbahnrecht seien die Eisenbahnunternehmen verpflichtet, über die Frage eines barrierefreien Zugangs zu Bahnanlagen abwägend zu entscheiden und dabei den nach typisierenden Merkmalen ermittelten Bedarf, die Herstellungskosten und die Erreichbarkeit anderer, barrierefreier Bahnanlagen zu berücksichtigen. Ob diese Abwägungsentscheidung im Falle des Bahnhofs Oberkochen rechtmäßig getroffen sei, unterliege wegen des auf Verstöße gegen § 2 Abs. 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung beschränkten Anwendungsbereichs der Verbandsklage in den vorliegenden Verfahren nicht der Überprüfung des Gerichts.

Gegen die Urteile (AZ.: 5 S 1410/04 und 5 S 1423/04) können die unterlegenen Behindertenverbände die vom Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen.




§ 8 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG)
Herstellung von Barrierefreiheit in den Bereichen Bau und Verkehr

(1) Zivile Neubauten sowie große zivile Um- oder Erweiterungsbauten des Bundes einschließlich der bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sollen entsprechend den allgemein anerkannten Regeln der Technik barrierefrei gestaltet werden. Von diesen Anforderungen kann abgewichen werden, wenn mit einer anderen Lösung in gleichem Maße die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllt werden. Die landesrechtlichen Bestimmungen, insbesondere die Bauordnungen, bleiben unberührt.
(2) Sonstige bauliche oder andere Anlagen, öffentliche Wege, Plätze und Straßen sowie öffentlich zugängliche Verkehrsanlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr sind nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften des Bundes barrierefrei zu gestalten. Weitergehende landesrechtliche Vorschriften bleiben unberührt.

§ 2 Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung (EBO)
Allgemeine Anforderungen
(1) .......
(2).......
(3) Die Vorschriften dieser Verordnung sind so anzuwenden, daß die Benutzung der Bahnanlagen und Fahrzeuge durch behinderte Menschen und alte Menschen sowie Kinder und sonstige Personen mit Nutzungsschwierigkeiten ohne besondere Erschwernis ermöglicht wird. Die Eisenbahnen sind verpflichtet, zu diesem Zweck Programme zur Gestaltung von Bahnanlagen und Fahrzeugen zu erstellen, mit dem Ziel, eine möglichst weitreichende Barrierefreiheit für deren Nutzung zu erreichen. Dies schließt die Aufstellung eines Betriebsprogramms mit den entsprechenden Fahrzeugen ein, deren Einstellung in den jeweiligen Zug bekannt zu machen ist. Die Aufstellung der Programme erfolgt nach Anhörung der Spitzenorganisationen von Verbänden, die nach § 13 Abs. 3 des Behindertengleichstellungsgesetzes anerkannt sind. Die Eisenbahnen übersenden die Programme über ihre Aufsichtsbehörden an das für das Zielvereinbarungsregister zuständige Bundesministerium. Die zuständigen Aufsichtsbehörden können von den Sätzen 2 und 3 Ausnahmen zulassen.





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