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Pflicht zur behindertengerechten Errichtung von Sportanlagen (hier: Fitness-Studio)

Datum: 01.02.2005

Kurzbeschreibung: 


Der Landesgesetzgeber hat 1995 die Anforderungen an die hindernisfreie Errichtung von Gebäuden und Anlagen im Interesse behinderter und älterer Menschen erheblich verschärft. Das Urteil des 3. Senats des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 27.9.2004 zeigt deutlich die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen der Bauherren.

Das Landratsamt hatte der Klägerin im Jahre 2001 die Baugenehmigung zur Errichtung eines Fitness-Studios erteilt (Erdgeschoss: Trainingsbereich; Umkleide-, Dusch-, Solarium- und Saunaräume; Ruheraum und Aerobicraum; Obergeschoss: zu Trainingszwecken genutzte Galerie und Büroraum). Nach den von der Klägerin eingereichten Plänen sollte die Galerie im Obergeschoss über eine Treppe vom Erdgeschoss aus erreichbar sein. Der Baugenehmigung wurde jedoch die Auflage beigefügt, dass ein Aufzug einzubauen sei, um auch behinderten und alten Menschen die Nutzung des Obergeschosses zu ermöglichen.

Gegen diese – nach ihren Angaben mit Mehrkosten von ca. 20.000 EUR verbundene – Auflage wendet sich die Klägerin. Sie trägt unter anderem vor, dass sämtliche Bein- und Ausdauergeräte ihres Studios bei einer Behinderung der Beine nicht genutzt werden könnten; möglich sei nur das Freihanteltraining im Sitzen. Im Obergeschoss befänden sich überhaupt keine Geräte, die von Behinderten genutzt werden könnten. Wegen der hohen Anschaffungskosten und fehlender Nachfrage sei nicht geplant, Geräte speziell für Behinderte aufzustellen. Bislang gebe es in keinem Fitness-Studio der Umgebung Rollstuhlfahrer als zahlende Mitglieder.

Das Verwaltungsgericht Freiburg wies die Klage gegen die Auflage ab. Auch der VGH hat dem Begehren der Klägerin mit im Wesentlichen folgender Begründung nicht stattgegeben: Der Senat hebt zunächst hervor, der Landesgesetzgeber habe „vorbildliche Regelungen“ zur Verbesserung der Lebensverhältnisse behinderter und älterer Menschen schaffen wollen und die Vorschriften über die Barrierefreiheit baulicher Anlagen daher bewusst strikt gefasst; zu diesem Zweck habe er erhebliche Mehrkosten für die Bauherren in Kauf genommen. Nach dem Willen des Gesetzgebers müssten alle in § 39 Abs. 2 der Landesbauordnung genannte Anlagen barrierefrei hergestellt werden, um Behinderten und alten Menschen deren zweckentsprechende Nutzung zu ermöglichen, gleichgültig, ob sie ihrer Art nach üblicherweise von diesem Personenkreis genutzt würden. Barrierefrei herzustellen seien danach praktisch alle Anlagen mit Ausnahme privat genutzter Räume. Dies gelte auch für das Fitness-Studio der Klägerin als öffentlich zugänglicher Sportanlage im Sinne des Gesetzes. Dabei sei unerheblich, dass nach Angaben der Klägerin im Obergeschoss nur Geräte aufgestellt werden sollten, die nicht von Behinderten genutzt werden könnten. Denn die gesetzliche Pflicht zur barrierefreien Errichtung erstrecke sich grundsätzlich auf das gesamte Gebäude und damit auf alle Geschosse. Zudem könnten im Obergeschoss jederzeit andere Geräte aufgestellt werden.

Diese Pflicht zur barrierefreien Herstellung von Sportanlagen verstoße auch nicht gegen das Eigentumsgrundrecht; insbesondere würden die Eigentümer dadurch nicht unverhältnismäßig belastet. Das öffentliche Interesse an der Barrierefreiheit möglichst vieler Gebäude und Anlagen habe erhebliches Gewicht. Nach Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes dürfe niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund betont der Senat nochmals, der Gesetzgeber habe die Lebensverhältnisse behinderter und älterer Menschen dadurch verbessern wollen, dass diesem Personenkreis über eine möglichst hindernisfreie Umwelt die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werde. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen müssten Eigentümer und Bauherren im Grundsatz hinnehmen. Im konkreten Einzelfall sei indes nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit einer Benutzung der Anlage durch behinderte oder alte Menschen zu differenzieren: Je größer die Wahrscheinlichkeit einer Nutzung durch den geschützten Personenkreis sei, desto größer sei das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Barrierefreiheit gegenüber den widerstreitenden wirtschaftlichen Interessen des Eigentümers und umgekehrt. Danach könne im vorliegenden Fall der Klägerin der Einbau des Aufzugs zugemutet werden. Der Behindertensport erhalte immer größere Bedeutung, so dass nicht ausgeschlossen sei, dass auch gehbehinderte Personen einen Nutzen von einem Fitness-Studio haben könnten. Hinzu komme, dass die Beschäftigung eines Behinderten im Büroraum des Obergeschosses jedenfalls nicht ausgeschlossen sei.

Das Urteil ist rechtskräftig geworden (Az.: 3 S 1719/03).


Landesbauordnung § 39

Abs.1: Bauliche Anlagen sowie andere Anlagen, die überwiegend von kleinen Kindern, behinderten oder alten Menschen genutzt werden, wie

1. Kindergärten, Kindertagesstätten ....
2. Tages- und Begegnungsstätten ...
3. Altentagesstätten, Altenbegegnungsstätten ...

sind so herzustellen, dass sie von diesen Personen zweckentsprechend ohne fremde Hilfe genutzt werden können (barrierefreie Anlagen).

Abs. 2: Die Anforderungen nach Absatz 1 gelten auch für

1. Gebäude der öffentlichen Verwaltung und Gerichte,
2. ...
6. Sport-, Spiel- und Erholungsanlagen, Schwimmbäder,
.....
19. allgemein zugängliche Großgaragen ....





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