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Demonstrationsteilnehmer zu Unrecht Ausreise aus dem Bundesgebiet verweigert

Datum: 17.01.2005

Kurzbeschreibung: 


Einem deutschen Staatsangehörigen kann nur dann die Ausreise ins Ausland wegen Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland versagt werden, wenn eine konkrete Gefährdungslage vorliegt. Dies setzt im Regelfall voraus, dass die Vorfälle, aus denen die Prognose der Gefährlichkeit des Betroffenen abgeleitet wird, nicht zu lange zurückliegen. Mit dieser Begründung hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) mit Urteil vom 07.12.2004 ein vom Bundesgrenzschutzamt Weil am Rhein verfügtes Ausreiseverbot gegen einen Demonstrationsteilnehmer (Kläger) für rechtswidrig erklärt und die Berufung der Bundesrepublik (Beklagte) gegen ein - ebenfalls stattgebendes - Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg zurückgewiesen.

Der Kläger befand sich in der Nacht vom 20. auf den 21.07.2001 in einem Reisebus auf dem Weg zu dem am 22.07.2001 in Genua stattfindenden Weltwirtschaftsgipfel G 8. Bei der Ausreise am Grenzübergang Weil am Rhein wurde er von Beamten des Bundesgrenzschutzes kontrolliert, die ihm befristet bis zum 22.07.2001, 22.00 Uhr, die Ausreise aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zum Weltwirtschaftsgipfel G 8 in Italien untersagten. Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünden Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich in Genua an gewaltsamen Ausschreitungen beteilige. Er sei nach polizeilichen Erkenntnissen am 08.11.1996 in Bonn im Zusammenhang mit einem Aufzug der linken Szene aufgefallen. Damals habe man ihm Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, schweren Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung und Mitführen von Schusswaffen (Signalmunition) zur Last gelegt. Auf seine Klage stellte das Verwaltungsgericht Freiburg fest, dass die Ausreiseuntersagung rechtswidrig gewesen sei. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Bonn sei gegen den Kläger nur ein Ermittlungsverfahren wegen eines besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs anhängig gewesen. Dieses sei jedoch mangels eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt worden. Da die Löschung der entsprechenden Einträge im Informationssystem der Polizei bei Erlass der Verfügung bereits veranlasst gewesen sei, hätten die Voraussetzungen für ein Ausreiseverbot nicht vorgelegen.

Der VGH hat diese Auffassung im Berufungsverfahren aus folgenden Gründen im Ergebnis bestätigt: Zwar könne die für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständige Behörde einem Deutschen die Ausreise in das Ausland untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Versagung eines Passes vorliegen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet seien. Hierunter fielen auch Handlungen, die geeignet seien, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden. Das Bundesgrenzschutzamt dürfte daher zu Recht davon ausgegangen sein, dass im Zusammenhang mit der Durchführung des G 8-Gipfels in Genua mit gewalttätigen Ausschreitungen zu rechnen war. Auch wäre eine Beteiligung gewaltbereiter deutscher Demonstranten geeignet gewesen, das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland zu schädigen. Das Bundesgrenzschutzamt habe jedoch zu Unrecht angenommen, dass vom Kläger eine solche Gefahr ausgegangen sei. Bei pflichtgemäßer Beurteilung der Einträge im Informationssystem der Polizei (INPOL) habe der zuständige Beamte nur davon ausgehen können, dass gegen den Kläger im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer Demonstration am 08.11.1996 ein Ermittlungsverfahren wegen eines besonders schweren Falls des Landesfriedensbruchs anhängig war, das die Staatsanwaltschaft wegen Fehlens eines hinreichenden Tatverdachts bereits eingestellt hatte. Zwar schließe diese Form der Verfahrenseinstellung einen gegen den Beschuldigten fortbestehenden Tatverdacht nicht notwendig aus. Einem solchen „Restverdacht“ komme indes im Rahmen der Gefahrenprognose nur ein geringeres Gewicht zu. Da der Tatverdacht gegen den Kläger zudem nahezu fünf Jahre zurückgelegen habe, sei die Prognose des Bundesgrenzschutzes nicht gerechtfertigt gewesen, der Kläger werde sich nach der Ausreise erneut an gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligen.

Die Revision wurde nicht zugelassen; die Beklagte kann hiergegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einlegen (Aktenzeichen: 1 S 2218/03).





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