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Zwangsweise Erhebung körperlicher Merkmale beanstandet

Datum: 24.05.2004

Kurzbeschreibung: 


Eine erkennungsdienstliche Behandlung zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten ist nur dann verhältnismäßig, wenn der Umfang der durchzuführenden Maßnahmen im Einzelfall notwendig ist. Dies setzt voraus, dass die erhobenen Unterlagen bzw. die gespeicherten Daten gerade für die Aufklärung solcher Straftaten geeignet und erforderlich sind, für die im konkreten Fall eine Wiederholungsgefahr begründet werden kann. Diese Grundsätze hat der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (VGH) im Urteil vom 18.12.2003 aufgestellt.

Die im Regierungsbezirk Stuttgart selbständig in der Baubranche tätige Klägerin stand 1998 im Verdacht, eine Straftat vorgetäuscht zu haben. Sie hatte gegen zwei ehemalige Mitarbeiter Anzeige erstattet und behauptet, es bestehe der Verdacht, dass diese sie mittels eines anonymen Briefes bedroht hätten. Nach den Feststellungen im (inzwischen rechtskräftigen) Strafbefehlsverfahren hatte die Klägerin den Brief jedoch selbst geschrieben. Im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens wurde die Klägerin von der Kriminalpolizei erkennungsdienstlich behandelt. Dabei wurden Lichtbilder gefertigt und Fingerabdrücke genommen. Ferner wurde ihr gesamter Körper, d. h. insbesondere ihr Intimbereich, von einer weiblichen Beamtin auf besondere körperliche Merkmale wie Narben und Tätowierungen abgesucht. Nach erfolglosem Widerspruch hiergegen begehrte die Klägerin beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Aufhebung der die erkennungsdienstliche Behandlung bestätigenden Bescheide und die Vernichtung bzw. Löschung der erhobenen Unterlagen bzw. Daten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und im Urteil ausgeführt, die Kriminalpolizei habe die erkennungsdienstliche Behandlung zu Recht durchgeführt, da aufgrund des Ermittlungsergebnisses und der Tatsache, dass gegen die Klägerin bereits mehrere Ermittlungsverfahren (wegen Diebstahls, Siegelbruchs, Konkursverschleppung, Beitragsvorenthaltung und Betrugs) anhängig gewesen seien, die konkrete Gefahr weiterer Straftaten bestanden habe und die erhobenen Unterlagen in künftigen Strafverfahren Aufklärungshilfe bieten könnten. Dem ist der VGH auf die Berufung der Klägerin nur zum Teil gefolgt. Zwar sei die Erhebung und Speicherung erkennungsdienstlicher Unterlagen der Klägerin zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten dem Grunde nach gerechtfertigt gewesen. Denn bei einer Gesamtschau sei die Prognose der Kriminalpolizei, die Klägerin könne mit guten Gründen bei künftigen noch aufzuklärenden Straftaten (insbesondere im Zusammenhang mit ihrer wirtschaftlichen Betätigung) in den Kreis möglicher Tatverdächtiger einbezogen werden, nicht zu beanstanden. Der gegen die Klägerin bestehende Tatverdacht wegen verschiedener Vermögensdelikte und Delikte im Zusammenhang mit ihren Gewerbebetrieben habe jedoch nicht das Erheben von Daten zu äußerlich nicht ohne weiteres erkennbaren besonderen körperlichen Merkmalen durch Leibesvisitation gerechtfertigt. Die Art und Weise dieser, nach den „Richtlinien für erkennungsdienstliche Maßnahmen“ des Innenministeriums zwar regelmäßig vorgesehenen Datenerhebung, stelle einen gravierenden Grundrechtseingriff dar, der im Falle der Klägerin nicht verhältnismäßig gewesen sei. Diese sei zwar verdächtig gewesen, eine Straftat unter Täuschung über ihre Identität begangen zu haben, weshalb nicht von der Hand zu weisen sei, dass die erhobenen Fingerabdrücke, die gefertigten Lichtbilder und die im Rahmen der Personenbeschreibung äußerlich ohne weiteres erkennbaren personenbezogenen Merkmale (Körpergröße, Körpergestalt, Haarfarbe und Haarbeschaffenheit), die Aufklärung künftiger Straftaten fördern könnten, für die eine Wiederholungsgefahr bestehe. Dies gelte jedoch nicht für die äußerlich nicht ohne weiteres erkennbaren körperlichen Merkmale, deren Erhebung zudem ein Absuchen der gesamten Körperoberfläche einschließlich des Intimbereichs und damit einen schwerwiegenden Eingriff in die Intimsphäre der Klägerin erfordert habe. Anders als in Fällen, in denen der Täter, um die Strafverfolgung zu erschweren, im Zusammenhang mit seinem strafrechtlich relevanten Verhalten gerade über sein Aussehen täuscht (etwa durch Manipulation seines Äußeren zur Durchführung eines Trickbetrugs), waren die äußerlich nicht ohne weiteres erkennbaren körperlichen Merkmale bei keinem der gegen die Klägerin durchgeführten Ermittlunsverfahren von Bedeutung gewesen.

Das Urteil ist rechtskräftig ( AZ.: 1 S 2211/02).





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